Vorletzte Woche auf der Buchmesse 2017 in Frankfurt. „Verlegen in Zeiten der Transformation des Publikationswesens – Aufstand der Buchhändler. Widerstand gegen die Transformation des Publikationswesens“, so lautete der sperrige Titel eines Forums, auf dem Geschäftsmodelle im Open Access für Verlage und Buchhandlungen diskutiert wurden. Am Podium die üblichen Verdächtigen aus den Verlagen und Sven Fund – der frischgebackener Geschäftsführer des Peter Lang Verlages – als Talkmaster. Dennoch war es keine „Logenveranstaltung“; das Forum war voll und das Thema stößt offensichtlich auf ein breiteres Interesse, wie das Publikum zweigte in dem sich auch Thieme Chef Albrecht Hauff oder Nomos-Leiter Alfred Hoffmann befanden.
Open Access Mit der Verbreitung des Internets als Informationsverteiler und zunehmend schrumpfenden Etats der wissenschaftlichen Bibliotheken wurden zwei Kernfragen neu gestellt: Warum wird das Internet nicht zur preiswerten Veröffentlichung genutzt und warum sollen Steuerzahler die Forschung zuerst über öffentliche Förderung bezahlen um später die Ergebnisse wiederum als Veröffentlichungen von den Verlagen erneut zu kaufen? Grundsatzfragen, die einleuchtend sind. Die Zeit für solche Diskussionen war auch gekommen: War diese Diskussion in Form von Open Source Programmierung doch längst geführt und das Internet selbst ist der Spirit dieses Gedankens. So beginnt die Budapester Erklärung mit den Sätzen: „Durch das Zusammentreffen einer alten Tradition mit einer neuen Technologie ist ein bisher beispielloses Gemeingut verfügbar geworden. Mit der alten Tradition ist die Bereitschaft von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gemeint, die Ergebnisse ihres Arbeitens in Fachzeitschriften zu veröffentlichen und diese Veröffentlichungen anderen zur Verfügung zu stellen, ohne hierfür bezahlt zu werden. Die neue Technologie ist das Internet. Das Gemeingut, das aus deren Zusammentreffen hervorgehen kann, besteht darin, dass Zeitschriftenbeiträge, die das Peer-Review durchlaufen haben, weltweit elektronisch zugänglich gemacht werden können – kostenfrei und ohne Zugangsbeschränkungen für Forschende, Lehrende und Studierende und für alle anderen, die an den Ergebnissen der Wissenschaft interessiert sind. Herausgebildet haben sich in der heutigen Welt zwei opportune Konzepte, die als „goldener“ und „grüner“ Weg etikettiert sind. Im goldenen Weg werden die Publikationen zuerst im Internet, meist in Form von e-Journalen, veröffentlicht. Im grünen Weg wird, parallel zum herkömmlichen Verlagsveröffentlichung, eine jedermann zugängliche Onlineversion auf Dokumentenservern bereit gehalten. Um entstehende Kosten zu finanzieren, zahlen die Autoren direkt oder über Institutionen für die Veröffentlichung. |
Die Zeiten von Open Access eröffnet den neuen und kleineren Verlage die spannende Chance um neue Geschäftsmodell zu erfinden, so das Fazit von Anke Beck, De Gruyter, dem sich die meisten Diskutanten anschlossen. Diese Zufriedenheit wird der Fachbuchhandel, angesichts des schwelenden DEALs der Wissenschaftsverlage mit Bibliotheken und Hochschulrektoren nicht teilen. Zur Diskussion oder gar zum offenen Bühnenstreit kam es trotzdem nicht. Denn Buchhändler, waren obschon des provokanten Untertitels, vorsorglich gar nicht auf dem Podium vertreten. So konnten Bibliotheks- und Verlagsmenschen in diesem Thema wie immer unter sich sein.
Der angesprochene „Aufstand der Buchhändler“ meint den umstrittenen DEAL zwischen Hochschulrektoren und großen Wissenschaftsverlagen, der die Implementierung einer Open-Access-Komponente enthält, „so dass z.B. die von den Wissenschaftseinrichtungen getragenen Kosten für Open-Access-Veröffentlichungen im Rahmen dieser Lizenzen berücksichtigt werden“, so Antje Kellersohn, Universitätsbibliothek Freiburg und Leiterin der DEAL-Projektgruppe laut Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. Hiergegen wurde heftig Kritik aus den Reihen der Buchhändler geäußert, die ihr Geschäftsmodell wegschmelzen sehen. Solche Kritik ist zwar grundsätzlich so alt wie das Direktgeschäft der Verlage, hat aber bei Open Access eine neue Qualität. Betrifft die Kritik doch den Kern in der Distribution von Wissen. Das Geschäftsmodell der Wissenschaftsverlage verändert sich mit Open Access und vom Produzenten zum wissensverteilenden Dienstleister.
Die Verlage werden aufgrund gewollter politischer Konstellationen beim Kulturgut Buch sicher überleben. Der Handel wird es schwer haben, denn in solchen neuen Vertriebsmodellen ist kaum Platz für den Handel. Aber was sollte den Handel grundsätzlich daran hindern, dieses Segment auch neu zu denken und Businesslösungen anzubieten. Absurd? Nein, befinden sich doch die Buchhändler schon längst mit e-Procurementlösungen für Wissenschaftsbibliotheken in einem Wandel von Händler zum technischen Lösungsanbieter. Warum dann nicht weiter denken in Zeiten von Cloud-Lösungen und das Portofolie an Open Access Unterstützungsprozessen ausbauen. Viele denken beim Stichwort „Cloud“ nur an Speicherlösungen. Cloud ist aber heute zugleich ein ganzer Werkzeugpark an diversen, hochskalierbaren Softwarewerkzeugen mit deren Hilfe Suche, Speicherung, Transformation leicht zu realisieren sind. Da diese nach Nutzung abgerechnet werden ist das Investitionsrisiko gering. Es gibt daher aus der Risikobetrachtung und aus dem Investitionsaufwand kein Argument, dass der Buchhandel keine innovativen Open-Access-Modelle entwickeln könnte.
Ein Verlag ist, abstrakt betrachtet, die Dokumentation und Produktion von Wissen, die Information über das Wissensprodukt, dessen Vervielfältigung und marktgerechte Bevorratung. Buchhandel ist die Recherche, Beschaffung und zügige Versorgung des Marktes mit den gewünschten Produkten. Diese plakativen Funktionen sind ohnehin aufgeweicht und heute viel verästelter. Und dort sind die spannenden Chancen für neue Leistungen und Geschäfte. Es beginnt mit den vielfältigen xml-Aufbereitungen von Artikeln und Abstracts um den „leblose Worten“ in der Onlinewelt ein inhaltliches Leben für Authentizität, Maschinen, Marketing und Verwertung einzuhauchen. Es setzt sich fort mit der Metaaufbereitung des eigentlichen Beitrags und der Positionierung in seinem Kontext. Zu Leistungen und Prozesse der Neuzeit zählen auch Registrierungen unterschiedlichster Art, z.B. für DOIs, einer Art URL für digitale Beiträge. Trotz aller altruistischer Motive, wird es auch in Zeiten von Open Access immer um Renommee und Bekanntheit gehen, welches der wissenschaftliche Autor mit seiner Veröffentlichung zugleich anstrebt. Renommee und Bekanntheit sind im e-Commerce nur Synonyme für qualifizierte SEO-Dienstleistungen, digitales PR und Markenaufbau. Ähnliches gilt auch für den digitalen Mantel in dem die Veröffentlichung erscheint, sei es Datenbank, e-Journal.
Der DEAL der Rektoren Was war geschehen? Elsevier, Springer Nature und Wiley verhandeln direkt mit der Hochschulrektorenkonferenz um Nutzungspauschalen für wissenschaftliche e-Journale unter dem Codenamen DEAL. Dies rief wesentliche Teile der Fachinformationshändler auf die Barrikaden. In einem offenen Brief beschworen diese die Gefahr, dass die „Zusammenarbeit mit dem Handel weitgehend aufgekündigt“ wird und warnten vor einer weiteren Konzentration. Die Händler fühlen sich um die bisherigen Arbeitsteilung von Publizieren und Distribuieren betrogen. „Wir haben Bibliotheken und Verlage in den Zeiten des digitalen Wandels erfolgreich unterstützt und beraten. Es wurden Dienstleistungen entwickelt, die Bibliotheken helfen, die Herausforderungen, die dieser Wandel mit sich gebracht hat, zu meistern. Diese Mehrwerte stellen heute einen essentiellen Wertschöpfungsfaktor für Bibliotheken dar und entlasten von ansonsten selbst zu erbringenden Leistungen“, so ein offener Brief der Fachbuchhändler. Die Buchhandlungen fürchten, um ihre Umsätze im Bibliotheksgeschäft und letztlich auch innovativ abgehängt zu werden.
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Also doch spannende Zeiten für innovative Unternehmen der Verlags- und Buchhandelsbranche? Ja, sicherlich, aber wo ist derzeit die Innovationsbereitschaft? Es bedarf hierzu Kreativität, Distanz zu den tradierten Vorstellungen und einem fokussierten Willen. Aktuelle befinden sich die Buchhändler in diesem Business in einem Stellungskrieg, in dem um jeden Zentimeter Land verbissen gekämpft wird. So ist die Gefahr sehr groß, dass diese Fixierung strategisch zu viele Kräfte bindet, um die Chancen und Kräfte für neue Modell zügig zu entwickeln. Innovationskraft und Agilität sind in Internetzeiten die neuen Produktivkräfte die über die Zukunft der Unternehmen bestimmen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die bloße Verschiebung der Etats zu den großen Verlagen lediglich eine Form der veränderten Verteilung knapper Budgets ist, anstatt innovativ den Zugang der Wissenschaft zu den Ergebnissen zu fördern. Solche Deals wären dann langfristig gesehen Sisyphossiege.
Sind Sie ein ehrgeiziges Unternehmen, das sich diesen Herausforderungen stellt und nach strategische Chancen sucht? Wollen Sie weiterhin am Bibliotheksgeschäft teilhaben und sich trotzdem innovativ aufstellen? Nehmen Sie jetzt Kontakt auf. Ich berate Sie gerne.
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